Dr. Lukas Köhler

Warum ein "nationales CO2-Budget" dem Klimaschutz nicht hilft - acht Antworten auf acht häufig gestellte Fragen

https://www.pexels.com/de-de/foto/klima-landschaft-natur-kunst-3652511/
Symbolbild, Foto: Marcin Jozwiak
  1. Ein CO2-Budget – was ist das überhaupt?

Der Weltklimarat IPCC wertet regelmäßig die gesamte wissenschaftliche Literatur zum Klimawandel aus. In seinen Berichten gibt er auch Zahlen an, wie viele Tonnen CO2 weltweit noch ausgestoßen werden dürfen, wenn die Erderwärmung mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit verschiedene Temperaturschwellen nicht überschreiten soll. Das ist das globale CO2-Budget, das der Menschheit noch zur Verfügung steht, um beispielsweise das 1,5 Grad-Ziel oder verschiedene Abstufungen des im Pariser Abkommen verankerten Ziels, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 und möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, zu erreichen.

Bei der Interpretation dieser Daten ist allerdings Vorsicht geboten: Es handelt sich dabei nicht um wirklich verlässliche Zahlen und als seriöse Wissenschaftler weisen die IPCC-Autoren selbst immer wieder darauf hin, dass sie mit großen Unsicherheiten verbunden sind. Außerdem entwickelt sich auch die Klima-Wissenschaft selbst immer weiter. Und indem sich die Methoden und Modelle verbessern, verändern sich logischerweise auch die Ergebnisse. Das ist kein Makel – im Gegenteil: Es ist ja gerade der Sinn und Zweck von Wissenschaft, sich nie zufrieden zu geben und ständig nach neuen Erkenntnissen zu streben. Im 6. Sachstandsbericht des IPCC, dessen 1. Teil im August 2021 erschienen ist, hat sich das globale Gesamtbudget im Vergleich zum 5. Sachstandsbericht aus dem Jahr 2015 beispielsweise um 300 Gigatonnen vergrößert (Quelle: IPCC AR6, Summary for Policymakers, S. 39).

 

  1. Ist das Konzept eines globalen CO2-Budgets trotz der großen Unsicherheiten grundsätzlich sinnvoll?

Der Ansatz, international ein CO2-Budget zu vereinbaren und dann nach einem fairen Schlüssel auf die einzelnen Länder aufzuteilen, ist auf jeden Fall eine Möglichkeit, um die globale Klimapolitik sinnvoll zu gestalten. Natürlich müsste man sich der Unsicherheiten bewusst sein und möglicherweise auch Mechanismen zur Nachsteuerung bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen einbauen – aber jenseits der technischen Details spricht erst mal nichts dagegen. Es wäre tatsächlich sogar eine sehr gute Basis für einen globalen Emissionshandel. Und wenn man dabei den Ländern des globalen Südens relativ große und den Industrieländern eher kleinere Budgets zuspräche, wäre dieser Handel hervorragend geeignet, um Geld und Technologien in ärmere Länder zu transferieren, um diese beim Klimaschutz sowie bei der Anpassung an die unabwendbaren Folgen des Klimawandels zu unterstützen.

 

  1. Und warum legt sich die FDP dann nicht auf ein Budget für Deutschland fest?

Der Budget-Ansatz kann nur unter einer Bedingung eine (wenn auch nicht die einzige) sinnvolle Option sein: Wenn ein globales Budget global verteilt wird. Diese Möglichkeit wurde im Vorfeld der Weltklimakonferenz 2015 in Paris diskutiert, aber schlussendlich verworfen. Das Pariser Abkommen funktioniert daher anders: Die einzelnen Vertragsstaaten bestimmen ihr Ziel und reichen es als NDC (Nationally Determined Contribution) ein, das alle fünf Jahre erneuert und mit einer Ambitionssteigerung versehen werden muss. Damit die NDCs vergleichbar sind – das fördert den Wettbewerb und entlarvt alle, die (zu) wenig zum Klimaschutz beitragen möchten –, wurden auf der Weltklimakonferenz in Kattowitz 2018 Regeln aufgestellt, welche Informationen enthalten sein sollten. Vorgesehen ist unter anderem eine Prozentzahl, um die ein Land seine Emissionen im Vergleich zu einem Referenzjahr gesenkt haben muss. Klingt komplizierter, als es ist: Das NDC der Europäischen Union enthält zum Beispiel das Ziel, die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Da die EU eine gemeinsame Klimapolitik betreibt, die darauf ausgerichtet ist, die Emissionen länderübergreifend möglichst kostengünstig zu reduzieren, hat Deutschland kein eigenes NDC, sondern verfolgt die Ziele gemeinsam mit unseren europäischen Partnern. Nationale Sonderziele sind daher Ausdruck eines Denkens in längst überwunden geglaubten Grenzen innerhalb Europas und helfen beim Klimaschutz nicht weiter. Aber egal, ob auf Deutschland oder die EU – ein Budget, das sich runterbrechen ließe, ist im Pariser Abkommen nicht vorgesehen. Das kann man bedauern und versuchen, es zu ändern. Aussichtsreich dürfte ein solches Unterfangen nicht sein. Wir Freie Demokraten akzeptieren Paris jedenfalls. Es ist in jedem Fall das beste Abkommen, das wir haben.

 

  1. Warum ist der Budget-Ansatz nur global sinnvoll?

Ohne einen Mechanismus, der die Einhaltung kontrolliert und möglichst sicherstellt, kann ein Budget seinen Sinn und Zweck nicht erfüllen. Und für den Klimaschutz ist ausschließlich ein globales Budget relevant. Zwar liest man immer mal wieder, Deutschland müsse ein bestimmtes Budget einhalten, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Aber das ist natürlich Quatsch. Deutschland kann das 1,5 Grad-Ziel nur erreichen, wenn alle anderen Länder es auch erreichen. Naturwissenschaftlich begründbar und relevant ist daher ausschließlich ein globales Budget.

Da es allerdings, wie oben erklärt, kein in internationalen Verhandlungen beschlossenes Budget gibt, könnte ein nationales Budget für Deutschland nur so zustande kommen: Zunächst müssten wir in Deutschland selbst das absolute Temperaturziel festlegen, denn das Pariser Abkommen lässt hier recht großen Spielraum, auch wenn 1,5 Grad aus unserer Sicht das einzig vernünftige Ziel ist. Aber wäre die Welt sich darin einig, hätte man es im Vertrag auch so klar formuliert. Dann müssten wir in Deutschland selbst die Berechnungsmethode festlegen, nach der das globale Budget berechnet wird. Denn die Wissenschaft kennt hier bekanntlich keine fixe Zahl. Und dann müssten wir in Deutschland auch noch selbst bestimmen, welche Verteilung des Budgets wir als gerecht empfinden. Hier sind ja ganz unterschiedliche Ansätze denkbar, etwa pro Kopf, unter Berücksichtigung der Wirtschaftsleistung oder der historischen Emissionen. Wenn nun aber jedes Land sich selbst einen gerechten Anteil von einem selbst definierten Gesamtbudget zuspricht, hat der gesamte Budget-Ansatz ganz offensichtlich jeden Sinn verloren, da die Kontrolle über die Einhaltung des Gesamtbudgets unmöglich wäre.

 

  1. Hat der SRU das nationale Budget nicht wissenschaftlich berechnet?

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), ein Beratungsgremium der Bundesregierung, hat im vergangenen Jahr ein nationales Budget auf genau die problematische Weise berechnet, die oben beschrieben ist. Demnach stünde Deutschland (von 2020 an gerechnet) für das 1,5 Grad-Ziel noch ein Budget von 4,2 Gigatonnen CO2 zu. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 wurden in Deutschland rund 739 Megatonnen Treibhausgase emittiert (die Unschärfen, weil der SRU sich auf CO2 beschränkt und andere Treibhausgase außer Acht lässt, ignorieren wir an dieser Stelle). Im Gegensatz zum globalen Gesamtbudget des IPCC ist dieses nationale Budget aber nicht naturwissenschaftlich begründet, sondern eine rein politische Meinungsäußerung des SRU. Denn für das Klima zählt bekannt nur die Gesamtmenge der Emissionen. Die Verteilung ist immer Politik und nicht Wissenschaft. Darauf weist zum Beispiel auch das Wuppertal Institut in einer für Fridays for Future erstellten Studie hin: „Inwieweit der vom SRU verwendete Pro-Kopf-Ansatz gerecht erscheint, ist damit weniger eine naturwissenschaftliche als eine politische und moralische Frage, bei der die internationale Perspektive zu berücksichtigen ist“ (Quelle: Wuppertal Institut, CO2-Neutral bis 2035,  S.39.) Das Leitmotiv hinter dem SRU-Budget ist also nicht Klimaschutz, sondern die sogenannte „Klimagerechtigkeit“.

 

  1. Soll Deutschland etwa keinen gerechten Beitrag zum Klimaschutz leisten?

Natürlich muss jedes Land zum Klimaschutz beitragen – und aus der im Pariser Abkommen festgeschriebenen „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung“ ergibt sich, dass die großen Industrienationen mehr leisten müssen als die Entwicklungsländer. Das SRU-Verständnis von „Klimagerechtigkeit“ ist allerdings einem sehr eindimensionalen und viel zu kurz gegriffenen Verständnis davon geschuldet, wie dieser Beitrag aussehen kann. Mit dem Ergebnis, dass wir die Emissionen in Deutschland zwar sehr schnell senken, dabei aber einen deutlich kleineren Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten würden, als wir eigentlich könnten. Denn das Budget wäre so schnell aufgebraucht, dass die Entwicklung und den Umstieg auf klimafreundliche Alternativen vor allem in der Industrie nicht möglich wäre. Und anders als bei einer globalen Budgetverteilung könnte es auch nicht im Sinne der internationalen Arbeitsteilung durch Zukauf aus anderen Ländern, die zwar ein großes Budget aber kaum Emissionen haben, erweitert werden. So paradox es auch klingt: Mit einiger Wahrscheinlich wäre das SRU-Budget für den Klimaschutz sogar schädlich!

Um das zu erklären, müssen wir uns nur mal die Zahlen und Dimensionen vor Augen führen. Das aktuell mit einer Varianz von mehreren hundert Gigatonnen vom IPCC angegebene Budget für das 1,5 Grad-Ziel, beträgt 400 Gigatonnen. Allein auf Grund verbesserter Berechnungsmethoden ist es im Vergleich zu 2015 um 300 Gigatonnen gewachsen, wie der IPCC im Summary for Policymakers (S.39) erklärt. 1.000 Gigatonnen könnten (mit erheblicher Unsicherheit) zu einem Temperaturanstieg um 0,45 Grad führen (Quelle: IPCC AR6, Summary for Policymakers, S. 36). Weltweit wurden zuletzt fast 40 Gigatonnen pro Jahr ausgestoßen. Doch auch wenn es nun für den Klimaschutz erst mal offensichtlich irrelevant ist, ob in Deutschland noch 4,2 oder 10 Gigatonnen ausgestoßen werden – der Unterschied macht schließlich nur einen kleinen Bruchteil der Schwankungsbreiten des IPCC aus –, darf man einen Fehlern nicht machen: Daraus schließen, dass Deutschland ja sowieso keinen echten Beitrag zum Klimaschutz leisten und wir deshalb auch einfach ganz darauf verzichten können.

Aber genauso verkehrt ist die Annahme, dieser winzige Beitrag wäre alles, was wir leisten könnten. Wenn wir es richtig angehen, ist sehr viel mehr drin. Setzen wir uns aber selbst zu enge Fesseln, sieht’s düster aus. Und genau das macht der SRU mit seinem Budget-Vorschlag. Denn auch wenn es für das Klima keinen Unterschied macht, ob Deutschland sich auf 4,2 Gigatonnen beschränkt, so macht es für eine Frage von kaum zu unterschätzender Bedeutung einen riesigen Unterschied: Gelingt uns der Weg zur Klimaneutralität mit einer starken Wirtschaft, Wohlstand und hoher Lebensqualität? Denn nur dann werden wir international Nachahmer finden, nur so werden uns die Schwellen- und Entwicklungsländer folgen, denen wir dann auch die Technologien zur Verfügung stellen können, um klimaneutrales Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Denn eins dürfte klar sein: Die Menschen dort haben keinen Wohlstand, auf den sie verzichten können und es wäre unmoralisch, ihnen das Streben nach einem besseren Leben zu verwehren.

Setzen wir aber für Deutschland ein zu kleines Budget an, würde das unausweichlich zu einer schnellen De-Industrialisierung unseres Landes führen. Die Folgen wären Arbeitsplatzverluste und soziale Verwerfungen, die auch dann hochproblematisch wären, wenn man  sie nur aus der Klimaschutz-Brille betrachtet. Denn bei uns könnte die gesellschaftliche Akzeptanz für den Klimaschutz rapide sinken, was in einer Demokratie schnell dazu führen kann, dass die Klimapolitik eingestellt wird. Wir wären international kein Vorbild, sondern abschreckendes Beispiel – denn wenn selbst Deutschland es nicht schafft, werden andere es gar nicht erst versuchen. Und viele Emissionen wären gar nicht weg, sondern nur anderswo. Denn nur weil in Deutschland zum Beispiel kein Stahl mehr hergestellt wird, sinkt der weltweite Bedarf nicht. Und wenn er dann in Ländern mit geringeren Umweltauflagen produziert wird, steigen die globalen Emissionen sogar an. Und das alles nur, damit wir uns in Deutschland „klimagerecht“ fühlen können. Um nicht zu sagen: selbstgerecht.

 

  1. Und was schlägt die FDP stattdessen vor?

Wir Freie Demokraten streben einen ambitionierten, realistischen und vor allem sicheren Weg zur Klimaneutralität an. Der würde dazu führen, dass in Deutschland in vielen Branchen nicht gar nicht mehr, sondern anders produziert wird – nämlich klimafreundlich. Um bei der Stahlindustrie zu bleiben: Die arbeitet längst am Stahlwerk der Zukunft, indem klimafreundlich mit Wasserstoff produziert wird. Die technische Machbarkeit ist längst geklärt, die Anwendung im industriellen Maßstab wird noch einige Zeit dauern. Denn wie so oft folgt auf die Pionierarbeit noch viel Aufwand für Forschung und Entwicklung, bis Technologien ausgereift genug sind, um wirtschaftlich zu sein.

Dieser Prozess und die gesamte Umstellung sind natürlich teuer. Die notwendigen Investitionen können nur Unternehmen stemmen, denen es finanziell gut geht. Deshalb müssen sie noch für einige Zeit auf die traditionelle Weise Geld verdienen, um den Weg in die klimaneutrale Zukunft zu ebnen. Die Politik muss mit klaren Spielregeln dafür sorgen, dass dieser Prozess nicht unnötig in die Länge gezogen wird. Das gilt natürlich nicht nur für die Stahlbranche, sondern für den Straßenverkehr genauso wie für die Energiewirtschaft. Deshalb wollen wir europaweit ein striktes CO2-Limit für alle Verursacher von Treibhausgasen vorgeben, das jedes Jahr kleiner wird und spätestens 2050 dazu führt, dass nur noch die wirklich unvermeidbaren Restemissionen (z.B. aus der Zementindustrie) zulässig sind – und auch das nur, wenn sie durch die Entfernung und Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre ausgeglichen werden. Die Unternehmen wissen also: Spätestens 2050 ist unterm Strich Schluss mit den Emissionen. Aber bis dahin werden die benötigten Emissionsrechte immer knapper und damit auch teurer, sodass sich der Umstieg auf klimafreundliche Alternativen lohnt. Dass es ein solches Emissionshandelssystem für die Energiewirtschaft und die Industrie bereits gibt, hat erst dazu geführt, dass überhaupt an klimaneutralem Stahl gearbeitet wird. Denn die Unternehmen wissen, dass sie die verbleibende Zeit nutzen müssen. Denn auch Klimaneutralität ist nur ein Zwischenziel, weil die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sogar wieder sinken muss.

Und so haben deutsche Tüftler und Ingenieurinnen den richtigen Anreiz, die Technologien zu entwickeln, die schließlich auf der ganzen Welt eingesetzt werden können, um eine klimaneutrale Zukunft zu ermöglichen. Das ist der wichtigste Beitrag den Deutschland für den globalen Klimaschutz leisten kann. Denn wir haben das Know-How und die finanziellen Mittel dafür. Es wäre fatal, wenn wir dieses Potential aus falsch verstandenem Eifer verspielen würden, weil wir „Klimagerechtigkeit“ mit Klimaschutz verwechseln.

 

  1. Wo ist nun der Unterschied zum CO2-Limit und ist Klimaneutralität bis 2050 nicht zu spät?

Das CO2-Limit im Emissionshandel ist ein fester Deckel für die jährlich zulässigen Emissionen. Wenn es jedes Jahr um einen bestimmten Prozentsatz sinkt, kann damit zielgenau das festgelegte Ziel für die Klimaneutralität erreicht werden. In der EU ist das momentan 2050 – dieses Ziel lässt sich gut aus dem IPCC-Sonderbericht zum 1,5 Grad-Ziel ableiten. Laut dem sollte die weltweite Klimaneutralität bis ca. 2070 erreicht sein – doch da wir als Industrienationen vorangehen müssen, ist 2050 ein sinnvolles Ziel. Aber: Solche Ziele müssen auf Basis neuer wissenschaftliche Erkenntnisse evaluiert werden, wozu der 6. Sachstandsbericht des IPCC herangezogen werden sollte, der im nächsten Jahr vollständig vorliegt. Theoretisch lassen sich natürlich die jährlichen CO2-Limits zusammenrechnen und als „Budget“ darstellen. Die Logik dahinter ist aber eine andere: Das CO2-Limit geht nicht von einer als gerecht empfundenen Emissionsmenge aus. Vielmehr stellt es im Sinne des Pariser Abkommens sicher, dass die Emissionen bis zum Jahr x um y Prozent sinken - bis schließlich der Zeitpunkt für y = 100 und damit Klimaneutralität erreicht ist.